Sonntag, 3. September 2017
Kirche der Natur
Erst erntet sie erneut. Es stehen bereits Kürbisse auf der Erde, wie aufgepflanzt. Die dicken, prallen Laiber liegen in Gelb- und Orangetönen in der Sonne und sprechen vom Herbst.
Sie bindet die langen Arme der Buschwindrosen und Hagebutten hoch, die ihr dabei Haut und Hände zerkratzen. Schnell noch alles gewässert und dann bricht sie auf..
Zu Beginn besucht sie den Fuchs, befreit seine Statt von Brennessel und wuchernden Ranken, legt die Erde frisch um und ordnet alle Steine und Gaben auf dem warmen Grund. Dann marschiert sie los. Die dicke, schwere Hitze des Spätsommers wabert über das Land, alles strotzt vor Frische und Fruchtbarkeit, die Grillen sägen und fiedeln, als würde es kein Ende geben. Doch sie liegt in der Luft, die Veränderung, und auf dem Rückweg rascheln braune Blätter verräterisch unter ihren Füßen.

Heute geht sie einen neuen Weg. Die Wildkräuter stehen teils mannshoch, und zuweilen führt ihr Weg zwischen zweimal so hohen Fruchtpflanzen hindurch. Wie ein Spalier säumen die flaschengrünen Natursoldaten ihren Weg. Sie schreitet kräftig aus mit aufmerksamem Blick nach vorn.

Einmal taucht auf ihrer einsamen Route unvermittelt ein kleines Gehöft vor ihr auf. Stimmen dringen an ihr Ohr, sie weicht aus und drückt sich unhörbar an hohen Tannen unbemerkt vorbei.

Vielleicht wird sie ihr Säckel erneut schnüren und marschieren, gen ein neues unbekanntes Ziel. Womöglich wird sie zurückkehren, womöglich auch nicht. Ein kostbarer Gedanke, eine verlockende Möglichkeit, die sie nicht tiefer als bis zum Eintreffen ihres eigenen Herbstes vergraben will und sorgfältig verstaut.

Eine Herde Rinder bestaunt ihren Weg, ein Tier springt neben ihr her wie zum Spiel oder zur Herausforderung. Die anderen Tiere folgen dem Trieb der Herde, nicht verstehend, mit welchem Ziel. Schließlich galoppieren alle davon, ohne dass klar wird, wer der Anführer ist. In der Ferne rumpelt und klirrt ein Fuhrwerk.

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Herbstnebel
Der erste ernsthafte Herbstnebel hat sich fest über die Welt gelegt, undurchdringlich, so dass sie noch nicht einmal den nahen Waldrand erkennen kann. Die Sonne steht schon hoch, wie ein Vollmond, scharf abgegrenzt, nur hellgelb; sie kann sie ansehen, so dicht ist die Verschleierung.

Vor ihrer Hütte stehen zwei Bäume, sie ragen wie schwarze Mahnmale in das diffuse Licht, mehr sterbend als lebendig, die Arme starr und dem Tode geweiht in den Himmel streckend, der ihnen nicht gewährt, was sie benötigen. Würde sich die widerspenstige Masse nicht heben, müssten sie sich beugen und würden zu Asche, in fahlem Licht über die Erde wehend.

Er ist nicht gekommen. Sie hatte einen guten Tag, trotzdem? Dennoch? Deswegen? Ohnehin? Sie hatte gekocht, gebacken, den Kontakt zu Menschen scheuend und ablehnend. Nur ihrem Kind hatte sie Essen gebracht, es gedrückt und geherzt, ihr Band verzierend und mit Perlen bestickend, Labsal für sie beide.

Sie spürt der Leere nach und findet sie nicht. Ihr Inneres ist voll, voll von Fülle; in ihr ist weitaus mehr, als sie jemals benötigen wird. Sie sieht sich ihre Traurigkeit an, auch die ist in ihr. Sie fühlt den freien Platz an ihrer Seite, spürt dem Impuls nach, ihn besetzen zu lassen, erinnert sich an die Nutzlosigkeit dieses Unterfangens und lässt ab von dem Plan.

So ist es. Und sie wird es aushalten, wird nicht versuchen, es zu ändern, ein "besseres Ergebnis" zu erreichen, sie ist zufrieden mit der Unvollkommenheit.

Und sie sieht die Chance darin. Natürlich ist es angenehm, im huldigenden Blick eines Gegenüber die eigenen Gruben und Höhlen auszublenden. Doch das will sie nicht. Hinsehen eröffnet die Perspektive zu wachsen, sich zu entwickeln; warten ist angesagt und angebracht. Trotzdem dies nur ein Halbwissen ist, geht sie zielsicher weiter.

Draußen wiehert ein Pferd. Sie erkennt den Laut und lauscht den dumpfen Tönen der Hufe auf dem federnden, grasbewachsenen Boden. Sie fasst die Pläne für den Tag und wird die Kirche der Natur besuchen. Ja, das wird sie.

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