Dienstag, 29. August 2017
die Angst ansehen
Ein Tag beginnt. Eigentlich findet der Tagesanfang hinter der dunstigen Glocke statt, die über die Erde gestülpt liegt. Unter der Decke herrscht Frieden; gedämpfte Geräusche der ersten frühen Arbeiter wabern aus dem Wald hinüber bis zu ihr in die Hütte. Nur ein Teil des Sonnenlichts schafft es, durchzudringen und so ist alles in diffuse Pastellfarben getunkt.

Sie vermisst ihn gleich beim Aufwachen. Dass sie keinerlei Schmerzen spürt, führt sie darauf zurück, dass sie nicht fürchtet, ihn zu verlieren.

Plötzlich liegt ihr ganzes bisheriges Leben vor ihrem inneren Auge. Der Grund für Panik war immer die Angst, etwas zu verlieren. Sie hatte gefühlt nie verstanden, dass sie gar nichts verlieren kann. Und auch jetzt kann sie es nicht erfühlen. Es geht ihr nur gut, weil sie sich nicht vor dem Verlust ängstigt. Und warum tut sie das nicht? Weil sie glaubt, er kehrt wieder zu ihr zurück. Wenn sie diesen Glauben verliert, wird es ihr wieder schlecht gehen.

In der Vergangenheit hat sie dieses Gefühl nur ertragen können mit der immer wieder schwer errungenen Bereitschaft, ihn loszulassen. Damit ging es ihr besser. Dann kam er wieder zu ihr und der ganze Tanz begann von Neuem.

Sie sitzt auf einer Wolke und sieht auf sich selbst hinunter. Dort steht eine stolze, glückliche Frau, die viele Dinge gut schafft und klug lösen kann, mit einer Schwäche, die sie bereits das ganze Leben begleitet. Es ist schön und tut ihr gut, diese Schwäche zu erkennen, sie sehen zu können, und die Hoffnung auf mögliche Entwicklung zu spüren.

Sie liebt das Leben.

Behend schwingt sie sich runter von dem wattigen Platz, fällt in die Welt zurück und schiebt ihre Ärmel hoch. Erstmal Kaffee!

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