Donnerstag, 26. Januar 2023
Stimme
Plötzlich ist sie da, ihre Stimme. Sie erschrickt und freut sich gleichzeitig. Irritiert spürt sie nach dem Klang der Töne und versucht, sich zu erinnern. Und plötzlich weiß sie: das Erkennen der Klänge ist völlig unnötig. Ihr Band ist fest und von fremder Natur.
Noch einmal fragt sie vorsichtig nach und sendet des Mütterchens Namen in die Sphären, und erhält die klare, kurze Antwort im selben Moment, fest und sicher.

Diese Seele wird nicht mehr von ihrer Seite weichen, sie weiß es.

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Auf Wiedersehen, Mutter
Für die Nacht legt sie die bestickte Wäsche der alten Frau an. Sie ist farbig und verspielt verziert und trägt stolz den Geist und Sinn der Vergangenen.
Morgens erwacht sie früh, und nicht mehr der erste Gedanke gilt dem Mütterchen. Zu weit ist sie bereits entflogen.

Keine Stimme ist zu hören, sie ist allein. Sehr viel hat sie für immer verloren. Wucht und Präsenz werden überdeutlich, seit es gegangen ist.

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Dienstag, 24. Januar 2023
Taugenichts
Sie spürt die eigene Einwilligung. Sie will es nicht, und ein wenig geniert sie sich deswegen - hat sie nur sowenig Liebe in sich, dass sie bereits schon jetzt bereit ist, freizugeben? Aufzugeben?

Sie seufzt ob der eigenen Unsinnigkeit und Trauer. Es bleibt still auf der anderen Seite, keine Worte dringen an ihr Herz, still. Sie sendet ihre Liebe und Grüße ins Nirgendwo, dem Mütterchen hinterher, und bleibt zurück, verwirrt, hohl, ohnmächtig.

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Sonntag, 22. Januar 2023
tot
Der Schnitter holt sich, was ihm gebührt.
Die Seele des Mütterchens tritt ihre Reise an.
Ihre Küsse auf den knittrigen Wangen hinterlassen ein ewiges Gefühl.

Sie weint.

Auf ihrer langen Wanderung durch die graue und braune Lande murmelt sie vor sich hin. 'Verschluck mich, Anderwelt, verschluck mich'

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spielende Eiskinder
Es schneit. Trotz des Wintars, der die Dunkelheit ohne Ausnahme durchsetzt, erwacht sie im Hellen, sie hat lange geschlafen. Sie springt auf, feuert schnell in der Kälte an, setzt Kaffeewasser auf und hört die wattige Stille, die von der Schneelandschaft und den leichten Flöckchen ausgehend in die Hütte dringt.
Eine dicke Stumpenkerze auf dem schweren Holztisch, wärmende Steine und Plaids, heißer Kaffee, keine Pflichten stehen an.

Sie muss sich eilen, will sie des heiligentags noch Brot ergattern - oder sie entscheidet sich gegen den Gang, nimmt von ihren Vorräten und bleibt etwas sitzen. Schlafschleier liegen noch auf ihrem Gemüt, und das Wort 'Gedanke' fällt ihr nicht ein.

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Freitag, 20. Januar 2023
Wandervogel
Das Feuer prasselt, dennoch hat sie kalte Hände. Ihre Füße stecken gemeinsam mit einem umwickelten heißen Stein in einem Fellsack, den ihr der Kürschner letztes Jahr vor die Tür gelegt hatte.
Die Linnen liegen dampfend in der Lauge im Zuber, und mehr Arbeiten sind nicht zu tun in der Hütte. Auch ins Moor wird sie nicht gehen, und sie freut sich auf den Tag. Sie wird kochen, alles Wintergemüse ist bereits zusammengetragen. Heute stehen die Pflichten eines alten Paares auf dem Plan, dort wird sie die Hütte richten und putzen, das Mahl und Trost und Hilfe spenden. Anschließend wird sie Krankenbesuche abstatten, und auch ihrem Kind von den frischen Speisen bringen.
Es wird ein langer schöner Tag.

Der Wolf wohnt fest in ihrem Herzen, die Menschen der Siedlung werden sie begrüßen und freundlich schwatzen, Vorrat und Schuppen sind vorsorglich und gut gefüllt, ihr Herzschlag gehört voll und ganz dem Großen Schöpfer. Sie ist vollends entlastet und frei wie ein Wandervogel.

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Sonntag, 15. Januar 2023
Puppenschlupf
Mit der ihm eigenen verhaltenen, ausweichenden Art erkundigt er sich - bereits vor einigen Tagen - ob sein Ankommen willkommen ist. Sie freut sich sehr, und beide kommen leicht überein.
Tags darauf erkennt sie schon von weitem seine Anwesenheit in der Hütte. Hose und Wams liegen über der Bank, er liegt bis zur Nasenspitze unter tausend Decken und Federbetten.

Sie fürchtet weder das erste noch die weiteren Male ihrer Zusammenkunft. Beide sprechen diese Veränderung nicht an.
Seine zärtlichen Küsse überdecken sie an jeder Stelle. Sie schlafen innig umarmt.

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Samstag, 7. Januar 2023
Wolfsmond
Gemächlich macht sich der Wolfsmond auf seinen Rückweg.
Sie hat in der Nacht ihren Dienst in der Gemeinschaft getan, und schläft bis weit in den Tag hinein. Etwas abwesend rollt sie unter den Federn und Decken hervor und tappt hinein in den Saterdach, der frei und ohne Pflicht schon auf sie wartet.
Schnell sind Körner und Krumen für die Vögel ausgelegt, die jedoch ihr Morgenmahl längst intus haben und sich nicht blicken lassen. Kaffee schmeckt ihr gut; sein Locken und Werben bleibt unbeachtet, sie lässt ihre Gedanken einfach weiter ruhen.

Das zehnte Jahr beginnt.

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Sonntag, 1. Januar 2023
Junges Jahr
Früh am jungfräulichen Morgen steht sie auf, tappt zur Feuerstelle hin, gießt alsbald heißen Kaffee auf, entzündet zum letzten Mal in diesem Winter die vielen heiligen Lichter und breitet sich mit ihren Dingen auf Bank und Tisch aus. Das Leuchten verbreitet Heimeligkeit und soviel Wärme, dass sie ein Fenster öffnen muss. Der Wind streicht gleichmäßig durch die Spitzen der hohen biegsamen Nadelbäume und sein Raunen dringt beruhigend in die Hütte ein.

Sie schreibt ein paar Grüße zum Neuen Jahr und legt getrocknete Blüten und zuweilen ein Bild bei. Es sind wenige Depeschen, die sie zu schreiben hat. Sie betrachet ihr Leben und seine Umstände, insbesondere seine Veränderungen. Manchmal ist sie etwas verunsichert deswegen, besorgt um sich selbst. Doch sie spürt deutlich die Richtigkeit der Dinge, das verlangsamte Geschehen, die bewusst zurückgeführten Begebenheiten und Abläufe, die Klausur und Stille. Alles ist genau richtig. Sie lebt das Leben, das sie möchte. Mehr noch, sie lebt ihr Leben nach ihren Wünsche und Träumen mehr denn jemals zuvor.
Sie weiß nicht, ob die vermehrte Ruhe dem steigenden Alter geschuldet ist oder bereits von jeher in ihr angelegt war und früher unbemerkt blieb, und sie hat auch keine Lust, weiterhin darüber nachzudenken. Ihre Füße sind kalt geworden und so wickelt sie sich einen heißen Stein ein und holt sich einen dritten Kaffee - Reichtum heißt in diesem Moment Zeit und Einlass in die vielen anderen Welten.

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Dienstag, 27. Dezember 2022
Erholung
Sie betritt die Rauhnacht, wieder und wieder, und wählt ihren Weg auch des Tags am Dorfe vorbei, durchwandert die friedliche Stille mit den vielen Lichtern, die zum Zeichen der Heiligkeit vor den Türen und in den Laibungen aufgestellt sind. Sie sucht die Ruhe und das Heil, die Heilung, und endlich, an diesem Morgen schläft sie lang in den Tag hinein.
Sie entzündet alle Lichter, kocht Kaffee, lässt sich nieder am schweren Tisch und auf der Holzbank, wickelt Füße und Beine in wollene Plaids, und malt sorgsam ihre Lettern auf das handgeschöpfte Papier.

Seine Nachricht im Weidenkorb zeigt ihr, dass er an sie denkt, sie nicht vergessen hat, und sie weiß: er wird zu ihr kommen.

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Montag, 26. Dezember 2022
frei und wild
Frei und wild, so ist sie. So will sie sein.

Lang bittet sie den Allmächtigen um Rat, um Sehen, fragt nach, inständig, mit verstelltem Blick. Und dann, endlich, erreichen Gottes Worte ihre Gedanken. Lapidar. Frei und wild.

Dies wird erst mit dem Vergang ihrer irdischen Heimstatt enden. Frei und wild.

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offene Fragen
Nach den geweihten Tagen ist sie verwirrt, ein wenig betreten, etwas haltlos. Ihr Kind kam zur Hütte, gemeinsam haben sie gegessen, ihre Seelen zu Füßen der Heiligkeit niedergelegt, die dunkle Rauhnacht betreten, sind heimgekehrt.

Ein ruhiges, kluges Gespräch am Morgen offenbart etwas, das sie schon lange fürchtet.
Wie sie damit umgehen soll, kann, weiß sie nicht.

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Samstag, 24. Dezember 2022
Heil der Nacht
Ein wenig schmerzen ihre Knochen; und auch die Seele ist nicht völlig unversehrt.
Früh morgens bereits wandert sie zum Dorf hin, zur Backstube, und lässt sich Laib und Backstücke geben. Erst dann kocht sie Kaffee und entzündet der Kerzen vier.

Eine vertraute Siedlerin kommt zur Hütte, legt Geselchtes und Schwammerln vor der Tür ab. Sie hört sie und eilt hinaus, herzt und drückt die Gefährtin und dankt gerührt.

Die Zeit wandert gemächlich und gleichmäßig ihren vorgezeichneten Weg entlang, und mit ihr ankommt mehr und mehr das Heil der Nacht.

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Freitag, 23. Dezember 2022
Neige
Sie träumt deutlich in dieser Rauhnacht. Weit vor dem Morgengrau verlässt sie die Schlafhöhle, öffnet die Fenster weit für die warme Winterluft, feuert an und kocht Kaffee, und notiert alle Details ihres Traums sorgfältig und genau.

Das neunte Wolfsjahr neigt sich zu seinem Ende hin. sie ist müde und tief dankbar.
In ihr keimt der Gedanke an eine solche Nachricht an ihn.

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Samstag, 17. Dezember 2022
erste rauhe Nacht
Ohne ihre Pflichten im Moor öffnet sich Raum für andere Werke. Zweimal streut sie Körner und Krumen für die Vögel aus, die flink jedesmal alles wegpicken. Der Frost hat das Leben fest im Griff, alles ist erstarrt und hält inne.

Sie schleppt Holz und feuert kräftig an, kocht und fertigt ein nahrhaftes Mal und bringt es dem kranken Mütterlein. Auch dort sorgt sie für ein fleißiges Herdfeuer, räumt und säubert die Wohnstatt, weicht und bleicht die Laken, und isst mit ihr gemeinsam die Speisen.
Vorsichtig bettet sie die Alte auf das frische, weiche Lager und tappt auf Zehenspitzen hinaus.

Nach ihrem Tagewerk ruht sie selbst ein wenig; wird sie doch heute die erste Rauhnacht begehen.
Spät, im Dunklen, legt sie sich wärmste Tücher und den wollenden Mantel um, hüllt auch Kopf und Hände ein. So verlässt sie die Hütte und stapft in die mystische Tiefe der rauhen Nacht.
Sie passiert die Siedlung und lässt die letzten Lichter schnell hinter sich, verschwindet in den Nebeln. Das unverdeckte Himmelszelt zeigt Schemen, Geister und die gereckten harten Arme der hölzernen Beobachter ihres Weges. Sie überlässt sich selbst der Anderwelt, wird aufgenommen und verschluckt und wird so eins mit allen Wesen hüben und drüben.

Gereinigt und bedeutungslos kehrt sie zurück, legt still die Kleidung ab und bettet sich im Nachtlager.

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Freitag, 16. Dezember 2022
Alte Wolfsliebe
Mit einer süßen Genesungskarte erkundigt er sich nach ihrer Gesundheit, nicht ohne neckischen Hinweis, dass er sich nicht angesteckt habe. Sie kennt ihn gut genug und ahnt seine Ankunft. Etwas aufgeregt und hektisch kritzelt sie eine Antwort, eilt heim, feuert an und wird dann ein wenig ruhiger.

Es dauert noch eine weitere Stunde, bis er sich leise nähert und eintritt in die heimelige Hütte, sich wie immer etwas umständlich das Schuhwerk säubert, es ordentlich an seinen Platz stellt, sich Mantel und Wams entledigt.... sie fliegt ihm entgegen und sofort verschwindet die Welt unbemerkt am Horizont ihrer Liebe.

Er gewährt ihnen viele Stunden. Sie erzählen sich ihre Freuden, sprechen auch über Sorgen, trösten und bestärken sich, liegen sich in den Armen, lieben sich, schlafen tiefumschlungen, nehmen ein gemeinsames Bad, treiben etwas Kurzweil.

Es ist schon tief in der Nacht. Warmer Kerzenschein taucht ihre Konturen in schemenhaftes Licht. Ein letztes Mal nähert er sich ihr; sie will ihn abwehren, schwach, verschwitzt. Er bittet sie nur mit seinem Blick, sie sehen sich an, die Münder berühren sich zu einem bewegungslosen Kuss, ihre Augen sind die Eintrittstüren für den jeweils anderen, ihre Vereinigung gewinnt die Hoheit über alles andere, bis er sie zeichnet. Unbeweglich, wundernehmend bleiben sie, wie sie sind. Fast unmerklich beginnt er, sie zärtlich zu küssen, erweckt sie beide, und sie gleiten zurück in die jetzige Welt. Noch vorher flüstert sie ihm ihr Glück zu, ernst, leise, deutlich.

Kein Verstehen, keine Berechtigung trägt ihre Verbindung. Eine mächtigere Kraft ist es, deren Namen niemand irdischem bekannt ist, sie weiß es.

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Freitag, 2. Dezember 2022
Wolfswärme
Sie sendet dem Wolf eine knappe Nachricht, ehrlich und kurz. Er antwortet schnell und in seiner Haltung wie gewohnt, mit Liebesgrüßen und Wärme. Als er erfährt, dass sie matt und elend ist, ist er besorgt.

Die Sonne neigt sich früh zum Tagesende hin. Noch vor ihrem Untergang steht er in der Hütte. Sie weicht etwas zurück, und wehrt ihn zu seinem Schutz ab.
Er jedoch gibt sich unbesorgt, hebt sie auf und trägt sie zum Lager, kocht und bringt ihr frischen Heiltee, bettet sie fürsorglich und warm, nimmt ihre Beine über seine Knie, redet sanft mit ihr, lenkt sie etwas ab, massiert liebevoll und langmütig ihre Füße.

Längst ist es dunkel, als er sich vorsichtig erhebt und leise den Heimweg antritt. Sie schläft wohlig ein.

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über Scham und die Entscheidung zu Mut
Sie ist krank, und etwas geschwächt. Bereits seit Tagen kocht und inhaliert sie Kräuter, gießt frische Sude zum Trinken auf und liegt viel.

An einem Morgen steht eine freundliche, rundliche Frau vor der Hütte und bittet um Gehör: Sie und ihre Sippe ziehen mit ihren Tieren umher, bieten Kurzweil und Zerstreuung mit allerlei Darbietungen an, und sie erbittet eine Gabe für ihre Tiere.
Sie erhält ein Säckchen Körner und eine Garbe Heu - mehr hat sie nicht bereit; dies gibt sie gern. Die Fremde bedenkt sie mit Gottes Segen, bedankt sich artig und zieht weiter.

Erst später am Tag kommen Gedanken zu ihr, dass sie die Reisenden gar nie gesehen oder bemerkt hat; nicht in der Siedlung, nicht auf den Feldern. Vielleicht hatte das Mütterlein gelogen? Je mehr sie darüber nachdenkt, um so sicherer wird sie: sie hatte vorschnell und zu Unrecht vertraut. Nicht die Körner oder das Rauhfutter drücken sie, aber etwas Ängstlichkeit über den eigentlichen Sinn des Besuchs und eine niederringende Scham über ihre unbedachte Reaktion. Ihr Impuls ist, die Begegnung zu verschweigen, doch das hilft nicht gegen die brennende Empfindung ihrer Dummheit.

Später, als sie sich zu Gesprächen und Öffentlichkeit entschieden hat, spürt sie, wieviel Mut sie hierfür aufbringen musste. Auch wenn sie es letztendlich gemeistert hat, stand davor die Überwindung der Schwachheit und es war alles andere als leicht und genehm.
In dieser Situation wird ihr klar, warum frühere Generationen - und Menschen im Allgemeinen - Verfehlungen kaum und nur sehr schwer eingestehen mögen. Sie überträgt ihr eigenes Gefühl von Unmündigkeit, Torheit und lausigem Versagen auf das Verhalten von Ablehnung und Verschlossenheit, das Menschen in weitaus einschneidenderen Zeiten gezeigt haben - und sie versteht.

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