Sonntag, 1. Januar 2023
Junges Jahr
Früh am jungfräulichen Morgen steht sie auf, tappt zur Feuerstelle hin, gießt alsbald heißen Kaffee auf, entzündet zum letzten Mal in diesem Winter die vielen heiligen Lichter und breitet sich mit ihren Dingen auf Bank und Tisch aus. Das Leuchten verbreitet Heimeligkeit und soviel Wärme, dass sie ein Fenster öffnen muss. Der Wind streicht gleichmäßig durch die Spitzen der hohen biegsamen Nadelbäume und sein Raunen dringt beruhigend in die Hütte ein.

Sie schreibt ein paar Grüße zum Neuen Jahr und legt getrocknete Blüten und zuweilen ein Bild bei. Es sind wenige Depeschen, die sie zu schreiben hat. Sie betrachet ihr Leben und seine Umstände, insbesondere seine Veränderungen. Manchmal ist sie etwas verunsichert deswegen, besorgt um sich selbst. Doch sie spürt deutlich die Richtigkeit der Dinge, das verlangsamte Geschehen, die bewusst zurückgeführten Begebenheiten und Abläufe, die Klausur und Stille. Alles ist genau richtig. Sie lebt das Leben, das sie möchte. Mehr noch, sie lebt ihr Leben nach ihren Wünsche und Träumen mehr denn jemals zuvor.
Sie weiß nicht, ob die vermehrte Ruhe dem steigenden Alter geschuldet ist oder bereits von jeher in ihr angelegt war und früher unbemerkt blieb, und sie hat auch keine Lust, weiterhin darüber nachzudenken. Ihre Füße sind kalt geworden und so wickelt sie sich einen heißen Stein ein und holt sich einen dritten Kaffee - Reichtum heißt in diesem Moment Zeit und Einlass in die vielen anderen Welten.

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