Mittwoch, 21. Februar 2018
Sterben lassen
Stunde um Stunde liegt sie in der Nacht auf dem durchtränkten Bettleinen. Am Abend denkt sie noch ans eigene Sterben, nicht als körperlichen Tod, sondern als Erlösung, als Ausweg, als Tor aus dem Elend. Und irgendwann liegt es vor ihr, das Nadelöhr, wie ein Geburtskanal, und sie sieht es:

Nicht sie muss sterben, viel schlimmer ist es: ihn muss sie sterben lassen. Er will es, er muss es, er hat es erzwungen, sie zwanghaft dahingetrieben, selbst ohne Alternative zu seinem Weg. Ihn muss sie sterben lassen. Alles Aufbegehren, jede Rebellion, ihre gesamte Ignoranz des Unausweichlichen hatten nichts genützt.

So quält sie sich hindurch, qetscht sich durch die Enge, ihn zurücklassend, loslassend, freigebend. Ein letzter Blick auf die schmerzende Wunde, die Schnittstelle zum leuchtenden Paradies, dessen Begründung im Leben selbst liegt.

Sie weiß, sie muss dankbar sein, auch für diese Erfahrung, sie weiß, dass diese Schmerzen der größere Schatz von Glück und Leid sind. Doch sie überlässt sich dem blutigen Meer, untergehend wie eine Meerjungfrau, verdammt zur Trennung von der Süße des Sterblichen.

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