Freitag, 17. März 2023
Herzensinhalt
Ein Nachtmahr beendet ihre Nacht, jedoch nur eine Stunde vor Tagesbeginn. Sie ist erholt und voller Lust und Pläne. Ein riesiger Kessel voll mit scharfem Chili hängt über der Kochfeuerstelle, sie hat ihn gestern mit viel Zeit und Mühe zubereitet und lange garen lassen. Heute wird sie ihrem Kind und dem alten Witwer von dem Mahl bringen.

Die Sonne erklimmt den Ostteil der Welt, schwarzer starker Kaffee summt leise sein schmeichelndes Lied. Das Mütterchen ist behütend in der Nähe, und findet beruhigende und entlastende Worte, wo sie nötig sind.

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Donnerstag, 16. März 2023
Gottes Vlies
Sie wandert zum Abend zur Hütte hin und sieht von dort Feuerdunst von der Kochstelle aufsteigen - die Hütte ist nicht leer. Der Wolf liegt bis zur Nase unter ihren Daunendecken, heimelige Wärme empfängt sie.
Sie will ablegen, die eingeholten Waren verräumen, und sich etwas waschen - doch er lässt ihr keine Zeit, umwirbt und umgarnt sie, lieblich, lockend, fordernd; sie ist wunderbar, ihre Liebe. Sie lässt sich hineinfallen, und niemand erinnert sich an Hürden der vergangenen Jahre.

Er bleibt bis in die tiefe Nacht; beide sind sie müde. Ihre neue Sprache und die vertrauten Gesten bilden eine güldene Kuppel wie eine sakrale Haube. Sie genießt die Zeit, seine Bemühungen, er stielt sich in die entlegendsten Bereiche ihres Lebens und versucht Unauffälligkeit dabei, sie bemerkt es dennoch und lächelt ebenso heimlich in sich hinein.
Nachts sorgt er für ihre Unbekümmertheit und nimmt sie mit in den kleinen Hof vor der Hütte, so dass sie noch ein paar Vorräte hineintragen kann. Sie schläft ohne ein einziges Erwachen.

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Sonntag, 19. Februar 2023
Lachvogel
Ihr erstes Erwachen frühmorgens dauert nur kurz und sie schläft tief weiter, bis es draußen längst hell ist. Das durchdringende Lachen eines grünen Wanderers weckt sie diesmal richtig auf, und nun findet sie die Absage des Wolfes für den Morgen.
Zerschlagen und müde - aber mit tiefem, ruhigen Glücksgefühl - bleibt sie lange liegen, hört die Wildgänse ihre Ankunft zelebrieren, lässt den Specht lachen, und findet nicht zu sich, und will es auch gar nicht. Sie kostet ihre Freiheit, hütet ihren Herzensschatz, und kehrt zurück zur Labung durch Weite, Unendlichkeit und Schutz.
Nur so gibt es Gelingen und Zukunft ihrer Liebe, sie erinnert sich. Des Wolfes genuine Klugheit fehlt ihr; sie hadert nicht.

Nur sehr langsam und nach viel starkem schwarzen Kaffee findet sie in sich die Pläne für den Tag. Es zieht sie hinaus in die Novemberluft, die mit feinen Schlieren des Frühlings durchsetzt zu sein scheint. Und sie wird einen mürben Boden backen, den wird sie heuer lieben, mit Steinobst des letzten Sommers. Glück senkt sich auf den Ort.

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Samstag, 18. Februar 2023
Ein Wolf und eine Katze
Niemals wäre ihr der Gedanke eingefallen, dass die Liebe noch schöner werden könnte.
Sie beginnen mit wenigen, ruhigen Küssen, erzählen sich von ihren letzten Wochen, sinken vorsichtig in ihre Umarmung, er streicht sanftmütig über ihr Gesicht.
Keine Sorgen ob seiner Ankunft hatten sie bedrückt. Er führt sie erst langsam, gibt Zeit wie ein Stück vom Seil, mehr und mehr. Von ihr unbemerkt wechselt er später seine Rolle und das Tempo, sie verliert sich und driftet ab.
Sie lieben sich, sie kennen sich gut, zum Schluss versinkt sie ein weiteres Mal in seinen Augen.
Sie liegen auf dem dicken Flor, lösen sich nur langsam voneinander, treffen sich geschwächt manchmal mit ihren Lippen. Unter ihrer Haut sammelt sich rosige Farbe. Ab und an steht sie auf, holt Speisen, ein frisches Leinen, und kehrt zurück in seine Arme, küsst und liebkost ihn und wehrt seine erneute Lockungen ab.
Sie liebt ihn.
Er liebt sie.
Tief in der Nacht verlässt er sie. Am Morgen will er wiederkommen und mit ihr das nächtliche Fasten brechen.

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heile Welt
Schwere Moorarbeitstage liegen hinter ihr. Abends besucht sie den zurückgebliebenen Alten und richtet ihm sein Heim, schrubbt die Ecken, weicht die Wäsche, und sitzt mit ihm bei Kaffee und etwas Gebäck am Tisch für etwas Gesellschaft. Erschöpft und hungrig erreicht sie spät die kalte Hütte.
Die Nacht bringt Erholung, Boden, Kräfte zurück. Sehr früh morgens bereits findet sie des Wolfes Briefchen, und sie ersehnt seine Ankunft. Schnell schreibt sie ihm zurück und macht sich dann geschäftig an die Aufgaben ihrer heilen Welt.

Ab und an schweifen die Gedanken zu einer Lesenden; wie es ihr wohl geht?
Wohnte sie in der Siedlung oder im nächsten Dorf, gingen sie sicher hie und da gemeinsam zum Markt oder in die Backstube, zum Schwatzen und einholen, vielleicht für ein gemeinsames Mahl? Auch für sie bereitet sie eine Botschaft vor, mit Grüßen und lieben Gedanken.

Unbemerkt und nur schwächlich hat die Sonne ihren Dienst begonnen. Zeit für die Auslage der Körner und Saaten für die flinke Schar der kleinen und großen Gefiederten, und für die weitere Gestaltung ihres Morgens.

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Donnerstag, 26. Januar 2023
Stimme
Plötzlich ist sie da, ihre Stimme. Sie erschrickt und freut sich gleichzeitig. Irritiert spürt sie nach dem Klang der Töne und versucht, sich zu erinnern. Und plötzlich weiß sie: das Erkennen der Klänge ist völlig unnötig. Ihr Band ist fest und von fremder Natur.
Noch einmal fragt sie vorsichtig nach und sendet des Mütterchens Namen in die Sphären, und erhält die klare, kurze Antwort im selben Moment, fest und sicher.

Diese Seele wird nicht mehr von ihrer Seite weichen, sie weiß es.

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Auf Wiedersehen, Mutter
Für die Nacht legt sie die bestickte Wäsche der alten Frau an. Sie ist farbig und verspielt verziert und trägt stolz den Geist und Sinn der Vergangenen.
Morgens erwacht sie früh, und nicht mehr der erste Gedanke gilt dem Mütterchen. Zu weit ist sie bereits entflogen.

Keine Stimme ist zu hören, sie ist allein. Sehr viel hat sie für immer verloren. Wucht und Präsenz werden überdeutlich, seit es gegangen ist.

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Dienstag, 24. Januar 2023
Taugenichts
Sie spürt die eigene Einwilligung. Sie will es nicht, und ein wenig geniert sie sich deswegen - hat sie nur sowenig Liebe in sich, dass sie bereits schon jetzt bereit ist, freizugeben? Aufzugeben?

Sie seufzt ob der eigenen Unsinnigkeit und Trauer. Es bleibt still auf der anderen Seite, keine Worte dringen an ihr Herz, still. Sie sendet ihre Liebe und Grüße ins Nirgendwo, dem Mütterchen hinterher, und bleibt zurück, verwirrt, hohl, ohnmächtig.

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Sonntag, 22. Januar 2023
tot
Der Schnitter holt sich, was ihm gebührt.
Die Seele des Mütterchens tritt ihre Reise an.
Ihre Küsse auf den knittrigen Wangen hinterlassen ein ewiges Gefühl.

Sie weint.

Auf ihrer langen Wanderung durch die graue und braune Lande murmelt sie vor sich hin. 'Verschluck mich, Anderwelt, verschluck mich'

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spielende Eiskinder
Es schneit. Trotz des Wintars, der die Dunkelheit ohne Ausnahme durchsetzt, erwacht sie im Hellen, sie hat lange geschlafen. Sie springt auf, feuert schnell in der Kälte an, setzt Kaffeewasser auf und hört die wattige Stille, die von der Schneelandschaft und den leichten Flöckchen ausgehend in die Hütte dringt.
Eine dicke Stumpenkerze auf dem schweren Holztisch, wärmende Steine und Plaids, heißer Kaffee, keine Pflichten stehen an.

Sie muss sich eilen, will sie des heiligentags noch Brot ergattern - oder sie entscheidet sich gegen den Gang, nimmt von ihren Vorräten und bleibt etwas sitzen. Schlafschleier liegen noch auf ihrem Gemüt, und das Wort 'Gedanke' fällt ihr nicht ein.

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Freitag, 20. Januar 2023
Wandervogel
Das Feuer prasselt, dennoch hat sie kalte Hände. Ihre Füße stecken gemeinsam mit einem umwickelten heißen Stein in einem Fellsack, den ihr der Kürschner letztes Jahr vor die Tür gelegt hatte.
Die Linnen liegen dampfend in der Lauge im Zuber, und mehr Arbeiten sind nicht zu tun in der Hütte. Auch ins Moor wird sie nicht gehen, und sie freut sich auf den Tag. Sie wird kochen, alles Wintergemüse ist bereits zusammengetragen. Heute stehen die Pflichten eines alten Paares auf dem Plan, dort wird sie die Hütte richten und putzen, das Mahl und Trost und Hilfe spenden. Anschließend wird sie Krankenbesuche abstatten, und auch ihrem Kind von den frischen Speisen bringen.
Es wird ein langer schöner Tag.

Der Wolf wohnt fest in ihrem Herzen, die Menschen der Siedlung werden sie begrüßen und freundlich schwatzen, Vorrat und Schuppen sind vorsorglich und gut gefüllt, ihr Herzschlag gehört voll und ganz dem Großen Schöpfer. Sie ist vollends entlastet und frei wie ein Wandervogel.

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Sonntag, 15. Januar 2023
Puppenschlupf
Mit der ihm eigenen verhaltenen, ausweichenden Art erkundigt er sich - bereits vor einigen Tagen - ob sein Ankommen willkommen ist. Sie freut sich sehr, und beide kommen leicht überein.
Tags darauf erkennt sie schon von weitem seine Anwesenheit in der Hütte. Hose und Wams liegen über der Bank, er liegt bis zur Nasenspitze unter tausend Decken und Federbetten.

Sie fürchtet weder das erste noch die weiteren Male ihrer Zusammenkunft. Beide sprechen diese Veränderung nicht an.
Seine zärtlichen Küsse überdecken sie an jeder Stelle. Sie schlafen innig umarmt.

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Samstag, 7. Januar 2023
Wolfsmond
Gemächlich macht sich der Wolfsmond auf seinen Rückweg.
Sie hat in der Nacht ihren Dienst in der Gemeinschaft getan, und schläft bis weit in den Tag hinein. Etwas abwesend rollt sie unter den Federn und Decken hervor und tappt hinein in den Saterdach, der frei und ohne Pflicht schon auf sie wartet.
Schnell sind Körner und Krumen für die Vögel ausgelegt, die jedoch ihr Morgenmahl längst intus haben und sich nicht blicken lassen. Kaffee schmeckt ihr gut; sein Locken und Werben bleibt unbeachtet, sie lässt ihre Gedanken einfach weiter ruhen.

Das zehnte Jahr beginnt.

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Sonntag, 1. Januar 2023
Junges Jahr
Früh am jungfräulichen Morgen steht sie auf, tappt zur Feuerstelle hin, gießt alsbald heißen Kaffee auf, entzündet zum letzten Mal in diesem Winter die vielen heiligen Lichter und breitet sich mit ihren Dingen auf Bank und Tisch aus. Das Leuchten verbreitet Heimeligkeit und soviel Wärme, dass sie ein Fenster öffnen muss. Der Wind streicht gleichmäßig durch die Spitzen der hohen biegsamen Nadelbäume und sein Raunen dringt beruhigend in die Hütte ein.

Sie schreibt ein paar Grüße zum Neuen Jahr und legt getrocknete Blüten und zuweilen ein Bild bei. Es sind wenige Depeschen, die sie zu schreiben hat. Sie betrachet ihr Leben und seine Umstände, insbesondere seine Veränderungen. Manchmal ist sie etwas verunsichert deswegen, besorgt um sich selbst. Doch sie spürt deutlich die Richtigkeit der Dinge, das verlangsamte Geschehen, die bewusst zurückgeführten Begebenheiten und Abläufe, die Klausur und Stille. Alles ist genau richtig. Sie lebt das Leben, das sie möchte. Mehr noch, sie lebt ihr Leben nach ihren Wünsche und Träumen mehr denn jemals zuvor.
Sie weiß nicht, ob die vermehrte Ruhe dem steigenden Alter geschuldet ist oder bereits von jeher in ihr angelegt war und früher unbemerkt blieb, und sie hat auch keine Lust, weiterhin darüber nachzudenken. Ihre Füße sind kalt geworden und so wickelt sie sich einen heißen Stein ein und holt sich einen dritten Kaffee - Reichtum heißt in diesem Moment Zeit und Einlass in die vielen anderen Welten.

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Dienstag, 27. Dezember 2022
Erholung
Sie betritt die Rauhnacht, wieder und wieder, und wählt ihren Weg auch des Tags am Dorfe vorbei, durchwandert die friedliche Stille mit den vielen Lichtern, die zum Zeichen der Heiligkeit vor den Türen und in den Laibungen aufgestellt sind. Sie sucht die Ruhe und das Heil, die Heilung, und endlich, an diesem Morgen schläft sie lang in den Tag hinein.
Sie entzündet alle Lichter, kocht Kaffee, lässt sich nieder am schweren Tisch und auf der Holzbank, wickelt Füße und Beine in wollene Plaids, und malt sorgsam ihre Lettern auf das handgeschöpfte Papier.

Seine Nachricht im Weidenkorb zeigt ihr, dass er an sie denkt, sie nicht vergessen hat, und sie weiß: er wird zu ihr kommen.

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Montag, 26. Dezember 2022
frei und wild
Frei und wild, so ist sie. So will sie sein.

Lang bittet sie den Allmächtigen um Rat, um Sehen, fragt nach, inständig, mit verstelltem Blick. Und dann, endlich, erreichen Gottes Worte ihre Gedanken. Lapidar. Frei und wild.

Dies wird erst mit dem Vergang ihrer irdischen Heimstatt enden. Frei und wild.

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offene Fragen
Nach den geweihten Tagen ist sie verwirrt, ein wenig betreten, etwas haltlos. Ihr Kind kam zur Hütte, gemeinsam haben sie gegessen, ihre Seelen zu Füßen der Heiligkeit niedergelegt, die dunkle Rauhnacht betreten, sind heimgekehrt.

Ein ruhiges, kluges Gespräch am Morgen offenbart etwas, das sie schon lange fürchtet.
Wie sie damit umgehen soll, kann, weiß sie nicht.

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Samstag, 24. Dezember 2022
Heil der Nacht
Ein wenig schmerzen ihre Knochen; und auch die Seele ist nicht völlig unversehrt.
Früh morgens bereits wandert sie zum Dorf hin, zur Backstube, und lässt sich Laib und Backstücke geben. Erst dann kocht sie Kaffee und entzündet der Kerzen vier.

Eine vertraute Siedlerin kommt zur Hütte, legt Geselchtes und Schwammerln vor der Tür ab. Sie hört sie und eilt hinaus, herzt und drückt die Gefährtin und dankt gerührt.

Die Zeit wandert gemächlich und gleichmäßig ihren vorgezeichneten Weg entlang, und mit ihr ankommt mehr und mehr das Heil der Nacht.

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