Sonntag, 13. Januar 2019
besetzter Platz
Auch an Ruhetagen streift sie durch die Natur, durchläuft die graue Luft und stapft über matschige Blätterschichten, die zu Erde werden wollen. Mal geht sie allein, mal läuft ein Tier ein Stück an ihrer Seite oder es fliegt ein Fluggefährte hoch über ihr dieselbe Route, und selten gewährt sie einem Wandergesellen ihre Begleitung.

Dann genießt sie die Gespräche, lässt sich von Klugheit und fremdartigen Gedanken überraschen, lacht und quasselt.

Immer sind ihr die vielen Wunder auf ihren Wegen bewusst, ihre Gesundheit mit ihrem zielstrebigen, kraftvollen Gang, die Details der Elemente und Lebewesen, das große Glück in ihrem Herzen.

Dankbar senkt sie ihren Kopf.

Abends klopft ihre Freundin an ihre Türe. Sie bringt ihr Salz und Brot und gemeinsam bereiten sie sich ein Mahl und lassen sich zum Essen am Feuer nieder. Kein einziger Moment ist erfüllt von Stille, die Worte fliegen aufgeladen und emsig hin und her, erst berichtend und flink, laut und mit viel Lachen, später ruhiger und nachdenklich, mit ernsteren Gedanken und Themen.

Sie sprechen auch über den Platz an ihrer Seite. Auch die Freundin lebt allein, manchmal wünscht sie sich Gesellschaft, und mehr noch, die Ankunft einer anderen Hälfte. Sie beleuchten jeden Aspekt, erzählen sich von Ereignissen mit anderen Menschen, die sie unter Umständen mit einem besonderen Blick betrachtet haben, und malen Träume und Wünsche in das wohlwollende Nachtlicht.

Und dann kommt sie selbst an die Reihe. Sie schildert den einen oder anderen halbherzigen Versuch, ihre Augen zu heben. Sie spricht auch über ihn, erklärt, beschreibt, schmückt aus und resümiert.

Am Ende liegt sie da, vor ihnen, schillernd, klar, gefängnisgleich, die Wahrheit: Sie ist nicht allein. Der verdammte Platz ist nicht leer. Es gibt keinen Beweis, kein Siegel, keine sichtbare Form, und doch liegt glasklar auf der Hand: nicht nur er wohnt in ihrem Herzen, auch sie in seinem. Sie ist nicht frei.

Erst spät in der Nacht verlässt die Freundin sie. Sie drücken und herzen sich, dann wandert die Seele hinaus in die nasse, warme Geborgenheit.
Sie selbst bleibt noch etwas sitzen, seltsamerweise nicht müde. Erst spät löscht sie alle Lichter, wickelt heiße Steine aus der Feuerstelle in Tücher und Decken und kuschelt sich mit den Flammenstrahlen unters Federbett.

Der Tag empfängt sie mit Erholung und neuer Kraft. Sie feuert an und kocht sich ihren geliebten, starken Kaffee. Regenwasser plätschert murmelnd auf die Dächer und läuft gluggernd hinab, sammelt sich und verwandelt Garten und Hof in eine Matschwüste.

Sie sagt 'ja' zu allem, was ist, und genießt jede einzelne Sekunde aufmerksam.

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