Mittwoch, 22. Mai 2019
Zauberland
Vollkommen ist die Hütte, in die sie hineinerwacht.

Sie lebt in der Vergangenheit, ihn genauso präsent im Herzen wie am ersten Tag. Meist vergisst sie ihr Gefängnis. Vielleicht verschwindet es irgendwann.

Draußen fällt der Regen senkrecht vom Himmel. Sie sitzt regungslos, das beruhigende, gleichmäßige Rauschen füllt den Raum. Trotz der Wassermassen zwitschern die Vögel lauthals um die Wette. Der Hahn vom nächsten Gehöft ist weitesgehend still.

Der Regen legt einen milchigen Schleier auf die Grüntöne der Natur, die Farben werden hinter dem Wasservorhang trübe. Jetzt nimm der Guss noch einmal zu - ein Sturzbach!

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Montag, 6. Mai 2019
voran, voran
Nach dem langen, zehrenden Tagewerk macht sie sich auf, im Tröpfchennebel, durch den der Fliederduft nur schwach hindurchscheint.

Schwalben rasen und sausen durch die Lüfte, schnappen nach den Fliegen nur knapp über der Wasserlinie des Flusslaufs. Sie bewundert derer flinken Flüge, die kapriziösen Saltos und Schwünge.

Graugänse führen ihre kleinen Familien spazieren, zu Wasser und zu Land, und fauchen vorauseilend gegen ein Jungschwänepaar, das sich neugierig nähert.

Ein kleiner dunkler Kopf mit spitzen Dreiecken im grünen Ährenmeer verät eine junge Ricke.

Sie schreitet forsch voran; Gedanken und Gefühle klären sich.

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Dienstag, 30. April 2019
das Leben ist Veränderung
Und, mag der Mensch das?

Sie lieben sich. Sie küssen sich, die Zeit ist sehr viel länger als sie befürchten kann.

Als er weg geht, ist sie leer, Kopf, Seele, Verlangen, alles ist von einer heilsamen Leere gefüllt.

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Montag, 29. April 2019
Antwort
Er wird kommen, antwortet er - zwischen den tiden werden sie sich lieben.

Ruhe legt sich auf ihre Seele, sie kehrt erschöpft und spät von ihrem Kind zurück, feuert an, brüht frischen Kräutertee auf, wäscht ihr Haar, kuschelt sich in zinnoberfarbene Kissen und flauschige Tücher.

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Herrliche, freie Tage
Der Tag erwacht lange vor ihr. Sie schiebt die dunklen Tücher beiseite und findet alles in schwere, feuchte Nebel gehüllt. Dennoch lässt sich nicht übersehen, welch unglaubliche Fülle und Milde das Leben zeichnet, feist und unglaublich üppig quillt es aus jeder Spalte hervor und macht jeden Betrachter einig und reich.

Nirgendwo mehr kann sie offenbaren, was sie getan hat: sie hat ihm geschrieben und hofft auf sein Kommen.

Sie verbirgt die Wahrheit vor den Geistern und nimmt sich selbst liebend an; vertraut in sich und in Gottes Weitsicht.

Ein kleiner bedrückter Atemzug verlässt ihr Herz, dann macht sie sich auf zu der langen Wanderung zu ihrem Kind.

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Samstag, 27. April 2019
weitermachen
Sie betritt den Tag, leicht stolpernd und ein wenig trottelig wirkend; mit einer Grundtraurigkeit, mit der sie sich auch schlafen gelegt hat. Tief erschöpft von der vergangenen Woche drücken ihre Gedanken von innen an den Schädel, als wären es derer zuviele und als solle der Kopf bersten.

Ihre Hütte liegt friedlich da, die Helligkeit der Sommerfrische verheißenden Morgensonne quillt durch die weit geöffneten Fenster hinein. Gänsequäken dringt herüber, die Luft ist erfüllt von Vogelstimmen in allen Tonlagen. Das blutjunge Hellgrün der Laubbäume malt frische Flächen auf das flaschengrüne Antlitz des Waldes.

Sie beruhigt sich, nimmt die Schmerzen weniger wahr, plant, sich selbst zu umsorgen und zu schonen, ist dankbar für den Augenblick.

Tief drinnen sitzt der Stachel; sie vermisst den Wolf. Alle Fragen sind tausendmal gestellt und unbeantwortet, unbeantwortet.

Der Specht tschilpt vom Wald her, laut und kräftig, in den Moment hinein, ohne eben und gleich.

Sie steht auf und holt sich mehr Kaffee.

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Sonntag, 14. April 2019
tag
sie weint. heute sind die traurigen, bedrückenden, dunklen Einflüsse deutlich präsent, das Gurren der Tauben dringt wie durch einen dicken Wattenebel nur dumpf zu ihr durch.

sie weint bewusst, lässt ängste und verzweiflung hinaus, durch die tränenkanäle strömen, fast tosend, und ein über-ich streicht ihr vorsichtig übers haar, leise trost zusprechend.

später wischt sie sich augen und gesicht trocken; die stille bleibt.

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Samstag, 13. April 2019
50 Jahre
Sie ist 50 Jahre alt und wird sich aufmachen, zum unberührten Morgen, dem Risiko der Zukunft, der Arbeit, den Tränen, dem Leid und dem überbordenden Glück.

Gleich jetzt. Ruhig, gesammelt, unkontrolliert.

Ihr Herz offen und heil.

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Donnerstag, 11. April 2019
Entscheidung
Stunden vor dem ersten Morgenglitzer fallen Druck und Sorgen vor ihr auf die Bettstatt. Die Tore ihres Herzens wollen sich nicht verschließen lassen und so steht sie in der Herrgottsfrühe auf, kocht sich Kaffee.

Irgendetwas ist an ihr, dass Menschen sie nicht mögen. Ruhig denkt sie nach, wählt ihren Weg.

Kapselt sich ab, geht allein weiter.

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Sonntag, 7. April 2019
die anderen
In dunkelster Nacht, im Meer aus Härte, fühlt sie sich wohl, findet menschliche Regungen, Geschichten, Enge und Nähe.

Sie stapft weiter, durch das Tal, das ihr das dunkelste und tiefste scheint. Isst unendliche Mengen an Vanillepudding.

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Sonntag, 31. März 2019
Summe
Ruhig und gelassen sitzt sie am blankgescheuerten Tisch, mit Tee und kleinen süßen Brötchen, vor sich Schreibzeug und Bücher. Die Hütte ist warm, der junge Frühlung noch kühl.

Eine Zwischenbilanz liegt vor ihr, ernüchternd und zufriedenstellend. Ihr Kind hat sich abgewandt, für den Moment, unzufrieden und emotional.

Sie bleibt stehen. Ein kleines bisschen fühlt sie sich wie eine Statistin, ist sich zeitgleich sicher: das Stehenbleiben ist die richtige Haltung.

Auch dem Liebesmann gegenüber fühlt sie sich klar. Der Stichtag ist der 27.04., und nur sie kennt diesen Termin.

Hat sich etwas verändert? Hat die Zeit die ihr zugewiesene Arbeit getan? Ist sie gesund? Liegt die Zukunft direkt vor ihren Füßen?

Sie ist ruhig und freudig.

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Mittwoch, 27. März 2019
ein bisschen Luft
Er steht schon hinter der Tür der Hütte, als sie heimkehrt. Sie rollen sich zusammen auf der Bettstatt, kuscheln sich aneinander und warten gemeinsam und küssend auf den Moment, an dem die Anspannung sie aus ihren Armen entlässt.

Sie lieben sich, wunderbar, feinsinnig, liebend.

Er verlässt sie danach. Sie bleibt zurück.

Neben ein wenig Luft bleibt danach nichts.

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Samstag, 23. März 2019
mechanisch
Ruhig dreht sie ihre Kreise, Runde um Runde. Gelassen betrachtet sie die vorbeiziehenden Dinge, manchmal sind es Türen und Ausgänge. Sie hat aufgehört, Klinken herunterzudrücken, sie geht nicht mehr hindurch durch die Öffnungen, nur um später wieder umzukehren; sie hat dem Leben die Zukunft überlassen und dadurch wurden ihre Hände frei.

Nicht ihr Herz.

17 Millionen Mal hat sie nun in gleicher Weise entschieden, sie hat jedes einzelne Mal akribisch erfasst und gezählt.

Sie ist einsam und still. Keine Regung geht durch die mahnend aufragenden Baumkronen, der Wald hält den Atem an.

Ein Specht hängt sich an eine Futterstelle vor ihrer Hütte. Sein aufforderndes Tschipp! und ein strenger Blick kommandieren sie nach vorn. Gleichgültig und ausgekühlt läuft sie weiter.

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Sonntag, 17. März 2019
ergeben
Stoisch und langmütig dreht sie ihre Runden. Alle Gedanken und Strategien wandern müde am Zaun ihres Geistes mal hin und wieder her.

Eine Gruppe schneeweißer Reiher oder ein Buntspecht mit scharfer Gesichtszeichnung erfreuen sie zuweilen.

Sonst geschieht nichts.

Sie verhält sich still. Worte verwendet sie nicht.

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Donnerstag, 7. März 2019
nicht aus den Augen
Sie steht, aufrecht. Ruhig.

Umgeben von roséfarbenem Nebel, stehen alle Menschen, manche Seite an Seite, andere stehen eher abseits. Auch sie steht dort, unter den Menschen, die Distanz zu ihm beträgt genau einen Blick.

Er drückt unmerklich ihre Hand, lächelt ihr verkrampft zu.

Sie steht. Aufrecht und ruhig.

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