Sonntag, 18. Juli 2021
Hohezeit
Sie erwacht früh, nach tief durchschlafener Nacht, beseelt von ihm. Die Hütte ist rein, Kaffeeduft breitet sich weckend aus, frische Luft strömt herein, mitsamt dem sommerlichen Spektakel.

Nebelschwaden ziehen an den weit geöffneten Fenstern vorbei, wie Wandersleut, langsam flanierend, flüchtige Blicke hineinwerfend. Gut genährte Meisen begrüßen sie mit ihrem für sie unverständlichen Gezwitscher, sie werfen ihr Vogelworte zu und beäugen sie erwartungsvoll, als erhofften sie eine Antwort.

Sie ist ganz froh, dass er jetzt nicht da ist, und nicht zum ersten Mal wird ihr klar, dass ihr Alleinsein ein hohes Gut birgt. Frieden, Freiheit, Stille, Unversehrtheit wird sie nicht leichtfertig wieder hergeben.

Und dennoch brachte er ihr Glück; Glück, Küsse, den Schlüssel zu ihrem Innersten, die Goldlasur, die durch die feinste Berührung seiner Hände entsteht. Sie liebten sich innig, und auch wenn das reale Leben ihre paradiesische Vorstellung hier und da zu stören suchte - sie ließen sich nicht beirren und ihre Welt wahr werden, vielleicht wahrer als jede andere Wirklichkeit.
Er kennt sie gut, verwendet die richtige Mischung aus Nehmen und Leiten, und sie-gewähren-lassen, ein zauberhafter Raum entsteht, unerreichbar für Worte und Wiedergaben. Sie lieben sich, lassen sich treiben in dem von ihm gebauten Boot, einer Nussschale auf dem Ozean der Anderwelt, verheißungsvolles Universum.

Ihr Herz ist intakt.
Sie wird aufbrechen zu einer Wanderung.

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