Mittwoch, 26. August 2020
Oasenzeit
Wilde Sturmböen jagen um die Hütte, die gesamte Nacht. Auch am Morgen lassen sie nicht nach und bringen die Baumkronen zum Rauschen, Singen, zuweilen tönt ein langgezogenes Jammern aus dem Wald herüber.

Es ist kalt, durch die weitgeöffneten Fenster wallt die frische Sommerluft herein, von Herbstgeruch noch keine Spur. Sie umwickelt ihre Füße mit wollenen Tüchern und Decken und trinkt den heißen schwarzen Aufweckkaffee in kleinen Schlucken.
Ihre Lebensgeister erwachen nur zögerlich, verhalten, und sie nimmt sich die Zeit. Zeit. Sie liegt vor ihr, wie ein Nebelmeer, ein Ende nicht in Sicht.

Vielleicht wird sie wandern gehen? Das Leben genießen, Schritt für Schritt, Mitglied im Club Natur, froh, dankbar, reich.

Sie erinnert lang zurückliegende, harsche Worte einer Frau, sogleich gefolgt von deren Abwenden, die sie anklagten, zu oft ihren Reichtum zu preisen und so innig zu genießen. Unehrlichkeit wurde Bezichtigungspunkt, und Falschheit, Schauspielerei.
Innerlich senkt sie den Kopf, öffnet die Hände und lässt los, nur den Streit, nicht die Verbundenheit.

Kein einziges Zeichen vom Liebesmann. Sie schaut gar nicht nach in dem Körbchen, in das er gelegentlich kleine Nachrichten legt, sie schaut nicht rein. Vielleicht wird er auftauchen, eintreten in die Hütte, ein Besucher ihres Herzens, vielleicht nicht. Sie fürchtet sich nicht. Manchmal fragt sie sich, ob er überhaupt noch ein Liebesmann ist? Die Antwort, so glaubt sie, ist 'ja', solange sie ihre Haut an seine schmiegen mag, seine Küsse ersehnt. Seine Küsse, die sie sich heimisch fühlen lassen.

Mit nackten Füßen zum Ofen hin tappsend holt sie sich einen weiteren Kaffee.

... comment