Montag, 18. April 2022
Das Zweite
Schlaf und dunkle Ostermondnacht entführen sie in ein fremdes Land und halten sie bis weit in den Tag hinein in ihren Gefilden, fest wie gebunden, so dass sie sich wundert über die hoch am Himmel stehende Sonne, als sie endlich erwacht. Draußen ist es leuchtend hell, mit frischen, warmen Farben, die noch kühle Luft streicht durch ihre Hütte und über ihr Gesicht.

Nach ihrem Tagesbesuch der Ihren am österlichen Sonntag findet sie etwas ungelenk zu sich selbst zurück. Gern hat sie Schwestern, Alte und ihre Kinder gesehen und geherzt, gemeinsam gevespert und gesprochen wie schon lange nicht mehr, und entspannt und freudig führt ihre Liebe sie zurück in ihr Heim. Nach etwas Schlaf und einigen Stunden mit sich selbst gelangt auch der Rest ihrer Ordnung zurück und so bricht sie noch vor Mondaufgang auf zum Anger, wo die Siedler die Gehölze des Winters aufgestapelt und bereits entzündet haben für den heiligen Brauch.

Allein steht sie, etwas abseits aller Grüppchen, genießt die Hitze des Feuers, trinkt kleine Schlucke des Mets, dass sie den kurzen Weg mitgebracht hat. Sie spürt, da wo sie noch früher unsicher, sich allein wähnend, seltsam empfand, ist heute Stille, Frieden, Boden, Festigkeit. Es zieht sie nicht mehr zu den Menschen, der vermeintlichen Zusammengehörigkeit, sie sehnt sich nicht mehr nach Geschöpfen an ihrer Seite, auch nicht mehr nach einem Mann, der Unterordnung und Bedienung beansprucht, nein.

Ihre Gedanken werden unterbrochen von einem lauten Klopfen am Sims eines Hüttenfensters. Sie sitzt ganz still und erlebt den Schwarzspecht sich langsam, alles abklopfend, nähern, bis er zum Greifen nah in der Laibung sitzt, alles gut studiert, und sogar den gemauerten Teil mit dem Schnabel hineinschlagend prüft. Ein herrliches Tier, mit feuerroter Zeichnung, stolz und gesund.

Zurück zum Gestern - nach einer Stunde am Feuer folgt sie einem Impuls, fühlt in ihrer Tasche nach einem Beutel, und wandert los zu einem der frühen Köstlichkeitenfeldern, die alle Bauern und Erntehelfer verlassen haben, und sammelt sich eine große Portion an Resten der weißen, leckeren Edelstangen auf, verbirgt sie in dem kleinen Säckchen und trägt sie heim in die Hütte, wäscht und schrubbt alle Stücke, schlägt sie ein in ein feuchtes Leinen und legt es in die Kühle des Vorrats. Und kehrt dann erst zurück zum hellen heißen Ostergeist, den die Kinder mittlerweile verlassen haben. Bis tief in die Nacht ist sie dort, am Rand der Gemeinschaft, mit sich allein, sich genug und genügend.
Der Traum eines Gefährten wurde enttarnt und geändert durch die Erfahrung und das Wissen des Lebens, und wenn sie die Wahl hat (und die hat sie!) zwischen dem, was die Vergangenheit ihr anbot und dem Frieden der Hütte und ihres Herzens, dann wählt sie das Zweite. Sehnen und Wünschen sind in dieser Welt erlaubt, der Zauber der Zukunft darf sein, und Zufriedenheit und Lieblichkeit schenken ein hohes (das höchste?) Gut.

Wildbienen ziehen ein, sie wechseln strebsam zwischen Kirschblütenexplosion und den Hölzern ihrer Heime hin und her, das beruhigende Brummen und Suchen schmiegt sich ein in die Frühlingsstimmung und deren Geräusche. Sie nimmt sich einen weiteren Kaffee.

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Sonntag, 27. März 2022
Glück
Ein kleines bisschen zerschlagen tappt sie in den Tag, beschmunzelt von der strahlenden Sonne und den Geistern der Helligkeit, die schon längst fleißig ihr Werk erledigen.

Sie fühlt die Richtigkeit ihrer Wege und wartet geduldig auf Leben und Energie, mit kleinen Schlückchen schwarzen, starken Kaffees. Der Wolf wohnt in ihrer Nähe, und sie vertraut und ist still.
Später stellt sie Hefe, Eier und Milch zurecht, wäscht und schneidet Obst und backt sich einen duftenden Kuchen.

Ihr neuntes Jahr hat begonnen.

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Samstag, 19. März 2022
Der Wolf kehrt zurück
Sie kehrt heim und bemerkt schon von fern seine Anwesenheit. Entgegen ihrer Vereinbarung sitzt er in der Hütte, im Abendlicht, und sieht sie auf seine ureigene Art an, ein bisschen verlegen, präsent, ihr jede Freiheit anbietend, die sie wünscht. Sie fühlt sich etwas unsicher, fahrig, und außerstande, ihn wegzuschicken.

Das wird sie wohl niemals können, ihn wegschicken.

Sorgsam und gutmütig ist er um sie herum, hält sie, nimmt sie in Empfang an seiner Seite, streicht ihr Haar, vergisst nicht, ihre Halsbeuge zu liebkosen, überlässt alles ihr selbst.

Viel Zeit vergeht, ihre gemeinsame Zeit, bis in die tiefe Nacht, ihr unbeschadetes Band umfängt sie, spielerisch, leicht, von feinster Seide, weich, irden.

Er kehrt zurück. Heute und morgen wird er nicht weggehen.

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Donnerstag, 17. Februar 2022
sterben
Sturm brüllt um die Hütte. Sie erwacht davon früh, warm und geschützt unter luftigem Daunenbett. Die Dunkelheit nimmt sie freundlich an die Hand und führt sie in den Tag.

Bei ihrem Kaffee und auch vorher schon spürt sie dem Entschwinden der Liebe nach.

Alleinsein füllt die Hütte, und ihr Herz ist ruhig und still.

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Samstag, 12. Februar 2022
verstohlener Blick
Bis weit in den Vormittag hinein hält sorgsam sie seliger Schlaf, und wieder empfängt sie ein Augenblick in reinster, friedlichster Form. Gleißende, helle Sonnenstrahlen machen die Hütte sanft und warm, und sie tappt durch die ordentlichen stillen Räume. Starker Kaffee ist schnell gemacht, ein warmer Stein aus der Glut liegt eingewickelt zu ihren Füßen.

Einmal war der Wolf da, nach 3 Monaten; sie hat es nicht notiert.

Ruhe breitet sich über ihr aus. Sie regelt die Dinge der Tage allein, schreckt vor Bedrohlichem etwas zurück, geht es jedoch, wenn auch scheu und ängstlich, an.
Sie liebt ihr Leben. Immer wieder streben Gedanken und Pläne in die Zukunft, und oft erkennt sie: Leben ist jetzt.

Im Moor läuft es toll. Sie hat Erfolg, auch hier ist sie viel ruhiger als in den davorliegenden Jahren, das ist so wohltuend! Sie erledigt ihre Arbeit gewandt, mit wachem Blick, kritisch dort, wo es die Gruppe weiterbringt, sonst still, jederzeit fleißig und ordentlich.

Kein Sehnen und Zerren an ihrem Herz. Manchmal schielt sie auf ein Fragezeichen an ihrer Lebensseite, aber nur kurz, schnell zischt der Blick wieder zurück.

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Sonntag, 16. Januar 2022
wohin?
Sie lebt.

Ihre Tage sind geprägt von ihren festen Schritten durch die Natur, von kostbarem Lächeln der Sterne, von Müh und Freud im Moor, von Fülle und feinsten Speisen, die sie mit Liebe und Zeit aus den besten Vorräten anfertigt.
Immer teilt sie in zwei Teile und bringt jede Woche den zweiten Teil ihrem Kind.

Freundlich und im gängigen Turnus besucht sie das Lazarett, pflegt und verbindet, tupft zärtlich über Stirnen, senkt ihre Stimme, streicht über Handrücken und verleiht ihr Ohr.

Oft wandern ihre Gedanken zum Wolf hin. Zu frisch sind alle Geschehnisse, zu roh fühlt der freie Platz sich an. Links liegen lässt sie das Körbchen, keiner ihrer Blicke fällt in seine Nähe.

Sie lebt. Voller Zuversicht, mit feiner Führung vieler Engel.
Wohin soll sie schauen?

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Samstag, 8. Januar 2022
noch nicht weg
In der Nacht hört sie ein dumpfes Klopfen, laut und unregelmäßig gegen die massive Außenwand der Hütte. Sie lauscht, ohne Angst, und als sie aufsteht und nachsieht, verstummt das Geräusch.
Anfangs sind ihre Füße kalt, als sie sich wieder einrollt in die dichten Federn und schweren Felle, doch dann schläft sie erneut ein, bis in den Vormittag hinein.

Draußen liegt weißer Rauhreif über der sonnigen Welt; es scheint, als wäre die Kälte sichtbar.

Sie sieht nicht hinein, in das Briefkörbchen des Wolfs, schon seit Neujahrsgeburt nicht, und jetzt, in der Stille, spürt sie die Reste der letzten, leisen Verbindung zwischen ihnen, wie geflüstert. Vorsichtig und sorgsam streift sie die Gedanken ab und schiebt sie tief in die hinterste Ecke ihres Herzens.

Im Moor läuft es toll für sie. Erst gestern hat sie neue, begehrte Aufgaben erhalten, und sie freut sich schon auf das Reizvolle und das Lernen. Respekt hat sie auch, doch sie ist willens und entschlossen, alles ohne Tadel zu erledigen, welcher Einsatz auch nötig ist.

Die Sonne steigt höher und strahlt in ihr Gesicht. 'Hier bin ich!', will sie sagen, und sie heranrufen in den herrlichen, gefüllten Tag.

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Donnerstag, 30. Dezember 2021
Rauhnächte
Sie startet in das dichte und milde Dunkel der Finsternis. Mal ängstigen sie die Geräusche, das Rauschen der Wipfel in den wilden Winden, mal wird sie umschlungen und angefüllt von der Mystik der Rauhnacht. Alle Tiere ruhen, schlafen, geben keinen Laut von sich.
Mal schleicht der Strom lahm und geräuschlos an ihrer Seite, dann wieder dringt sein fleißiges Gurgeln und Plätschern zu ihr empor. Feinste Regentropfen wehen in ihr Gesicht und benetzen Haut und Haar.

Mit gewohntem Abstand passiert sie die Gehöfte der Umgebung, in deren Fenstern Lichter aufgestellt sind.

Einer ihrer Oheim ist verblichen. Seine Reise in die Anderwelt ist würdevoll, sie wird begleitet von einigen liebenden Gedanken.

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Freitag, 24. Dezember 2021
Gottes Nähe zum Greifen spürbar
Herrlich, ihr Erwachen im Frieden, in Ruhe und Geborgenheit.
Sie realisiert, dass die Wolfsgefühle die gesamte Nacht nicht von ihrer Seite gewichen sind. Prüfend sucht sie Antworten auf Fragen, die sie nicht zu stellen weiß; immer noch ist da nichts.

Schnell sind der heiße Kaffee gekocht und ein paar ordnende Handgriffe an der Kochstelle getan. Sie entzündet die vier weihnachtlichen Lichter und begrüßt den Heiland, ohne bewusst an ihn zu denken. Gemütlich und warm liegen Decken und eingewickelte heiße Steine an ihren Füßen und über ihren Beinen; sie erledigt die noch notwendigen Dinge des alten Jahres - es sind nur wenige - und fertigt kunstvoll ein paar Briefchen für ihr liebe Menschen an.

Der Morgen bringt ihr Stille, Beruhigung, Genuss, Fülle. Sie nimmt alles dankbar entgegen und neigt ihr Haupt, bevor sie sich in die Geschäftigkeit des Tages einreiht.

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Donnerstag, 23. Dezember 2021
Starre
Sie vermisst den Wolf.

Seine Nachricht - mit dem geliebten Zeichen seines Kusses - lässt sie unbeachtet und unbeantwortet.

Etwas, das sie noch niemals zuvor getan hat.

Sie hält still, rührt sich nicht.

Ihre Blicke wandern tausende Male hin zum leeren Körbchen für seine Briefchen.

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Samstag, 18. Dezember 2021
Entlastung
Das Schaffen im Moor tut ihr gut. Interessant, lehrreich, für sie oft neu - und nicht so hart. Am Ende einer arbeitsreichen Woche erreicht sie bereits am Mittag die Hütte, im Körbchen ein frisch angerichtetes Mahl von einem der Verkaufsstände des Marktes. Das Essen ist noch heiß und verströmt einen unwiderstehlichen Duft.

Sie tut nichts anderes als sich zu setzen, die leckere Kost zu genießen, später die Füße hochzulagern, ein wenig zu lesen und sogar etwas zu schlummern, und sich später ohne irgendeinen ordnenden Handgriff in die Felle und Kissen ihrer Traumstatt zu rollen, gemütlich und kuschelig.

Und sie träumt. Die Anderwelt zieht und zupft sie behutsam in ihre Geschichten hinein, und sie erlebt sie alle, und spürt erst beim Verlassen, dass es nicht diese Welt war.

Nun sitzt sie am schweren Holztisch, auf ihrer mit tausend Kissen und Decken gepolsterten Bank, die heiligen Lichter entzündet, Gottes Macht befriedet sie, und der Kaffee dampft und erweckt ihre Gefühle, Gedanken, und ihre müden Glieder.
Der herrliche Tag lässt noch ein wenig auf sich warten, erst sein fast unhörbares Flüstern ist zu vernehmen. Sie lauscht still und wartet.

Ein Wolf hat keinen Raum, niemand ist da.

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Sonntag, 28. November 2021
Einzug des Heiligen
Eine gute und erholsame Nacht gibt sie frei, es war ein langer, tiefer Schlaf. Sie tappt im Dunklen hin und her, weicht Wäsche ein, feuert an und setzt Kaffeewasser auf, legt frisches, warm aufgerautes Linnen an und entzündet ein erstes Licht. Heiligkeit zieht ein.

Sie hat ihre nächtliche Arbeit bei den Kranken und Verwundeten wieder aufgenommen, nach einem turbulenten Jahr der Änderungen und ihrem nun vollendetem Wechsel ins Moor. Ihr Leben ist zurück, samt ihrer Hoheit über sich selbst, darüber ist sie froh. Alles hat gut geklappt und wurde mit Sicherheit von sorgenden Kräften gestärkt und gestützt.
Auch dem Wolf hat sie abgesagt, ohne Ankündigung in ihrer Hütte aufzutauchen. Eine erste Einladung hat er abgelehnt, eine weitere wird sie keinesfalls vor dem nächsten Jahr aussprechen.

Wenn überhaupt.

Sie vermisst ihn sehr, oder möglicherweise etwas anderes, das ist ihr noch nicht klar.
Nach ihrer Vermutung wurden ihren Zusammenkünfte unpersönlich, derart unpersönlich, dass sie währenddessen nicht ihren Diebstahl der Stunden vergessen konnte.

Wie auch immer. Sie hat ihm abgesagt, die Hütte gehört ihr allein.

Noch schaut sie täglich ins Körbchen, ob er sie umwirbt, um sie kämpft. Täglich bleibt das Körbchen still.

Noch ist sie müde von dem anstrengenden Werk der Nacht, sie wird ruhen, still sein, hin und her gehen, ruhen. Tief dankbar und befriedet betritt sie zögerlich den Tag.

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Samstag, 20. November 2021
Tanz
Schlaftrunken lässt sie sich vom Morgen aufwecken. Arbeitsreiche und erfüllte Tage liegen hinter ihr. Die gewandelten Aufgaben machen ihr Spaß, sie lernt viel Neues, der moorige Geruch gefällt ihr, und ihre Arbeitslast ist um ein Vielfaches geringer, ihre Seele erholt sich.

Die letzten Handgriffe im Wald erledigt sie vor einigen Tagen. Ein paar letzte freundliche Worte, ein paar müde Blicke, dann verlässt sie den dunklen Ort, der sie einige Jahre umfangen und begleitet hat. Auch hat er sie gestärkt und viele Dinge gelehrt, und er war eine Bürde - alles endet nun.

Gestern brauchte sie nicht ins Moor, hier werden ihr viel mehr freie Tage gewährt, die sie begrüßt und genießt. Sie steht früh auf, und backt und kocht und verpackt und sortiert bis in den Nachmittag hinein. Dann stapft sie los, bringt Leckereien, Gekochtes und Gebäck, zu ihren Kindern und ihrer Mutter. Sie verweilt und erledigt Pflichten und ist bis spät in die Nacht unterwegs. Müde und zufrieden erreicht sie die Hütte und sinkt alsbald in das Land der dunklen Lebensseite.

Nun liegen noch zwei eigene Tage frei vor ihr. Sie liebt diesen Gedanken. Die entzündeten Lichter erleuchten warm das Morgengrauen, und auch liebt sie den starken Kaffee. Eine tiefe Ruhe erfasst sie, und ein großes, stilles Glücksempfinden. Die ersten Zwitscherstimmen melden sich zu Wort.

Wagt sie es, tanzen zu gehen?

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Sonntag, 14. November 2021
Das Band ist gerissen
sie ist verunsichert und macht nichts

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