Montag, 20. Mai 2024
Zäsur
Sie erreicht das Langhaus der ehemaligen Familie, das sie, die Söhnerin, einst verließ. Dort verdunkelt die schwarze Nachricht alle Fenster, und sie ist froh, grade jetzt eingetroffen zu sein.
Ein langer Tag bricht an. Leichenhemd und letzte Dinge werden zusammengetragen, ein letzter Dank und Kuss begleiten den Aufbruch des Schwähers, der Bestatter wird gerufen; kleine Depeschen mit Todesnachrichten lösen sich nur zögerlich, jede einzelne sorgsam bedacht, betrauert und lang zurückgehalten.

Spät, sie sitzen im leeren Haus, spricht er es aus. Eine Ära geht zuende. Sie entfleucht, sanft, hintergründig, mit Macht, unaufhaltsam, unumkehrbar. Was wird nun Rahmen geben, wo die Alten, Sicheren, Sichernden, weg sind? Die Dinge sich rasend schnell ändern werden, verschwinden werden?
Sie sitzen am schweren hölzernen Tisch, so wie tausend Mal zuvor, still, ohne Antwort, ohne Resonanz. Der Vater ist auf der Reise, der letzten, die ihn mit der Mutter zusammenbringen wird. Sie bleiben allein zurück.

Sie verbringen viel Zeit miteinander, manchmal schwelgend, und auch schweigend. Eine heilige Zeit, aus der alle ausgeschlossen sind. Einen Tag pflanzen sie frische Blumen und säubern den Hof, später geht sie zur Grabstätte der muoter, legt einen blühenden Zweig auf das kalte erdige Dach.

Am Nachmittag nehmen sie Platz am Stammplatz der Sippe, an der sie bald 100 Jahre gesessen haben. Ein ewiges Licht beleuchtet die Liturgie, sie reichen sich feines Gebäck und starken Kaffee, sitzen da, als wären sie selbst die Alten.

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