Sonntag, 29. August 2021
Sommersonnenwende
Am Abend nimmt sie sich etwas von dem Most aus Trauben, es ist ein alter, vergorener Saft aus hiesigen Landen, den sie von einem Landarbeiter erhalten hat. Er schmeckt ihr nicht besonders, wie alle Reben aus der Gegend; aus dem Süden müssen sie sein, dann scheinen sie ihr wie eine Explosion auf der Zunge.
Sie entzündet ein Licht in dem gefärbten Kristall ihres Mütterleins, rosenfarben bricht sich das warme Glitzerlicht in ihre Stube hinein.

Sie hatte sich schwergetan mit der Verabschiedung ihrer Jugend. Auch im Nachhinein schien ihr die Aufgabe nennenswert, und sie ist froh, es gut gemacht zu haben.
Schon immer, solange sie denken kann, nach dem Vorbild der Mutter und der Schwestern, färbte sie sich die Haare mit heißem Wurzelbrei, so dass sie glänzten und strahlten, in tiefen kastanienfarbenen Tönen.
Vor wenigen Jahren hat sie damit aufgehört. Helle und weiße Bahnen wachsen nun durch ihren Schopf.

An diesem Punkt bemerkt sie es: Es ist der beste Punkt. Sie kann sehen, sie kann entscheiden, sie kann ausschließen, sie kann gestalten, und alle diese aktiven Handlungen basieren und entspringen aus Sehen und Wissen. Ein Tuch hat sich gelüftet. Was nützte ihr die Jugend, die ihr Abhängigkeit, Unsicherheit, Missbrauch, Gebeuteltsein brachte?
Ihre Augen glühen, mit größerer Kraft denn je, und sie lässt sie leuchten und richtet sich gerade auf.

Erneut schläft sie tief und lang in der Nacht, erwacht nach 10 Stunden, öffnet alle Fenster und erhält das Regenrauschen der Welt, kocht sich Kaffee.

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